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Wie wirkt der Wald auf das menschliche Hormon- und Nervensystem sowie auf die Psyche?

Die vielfältigen Sinneseindrücke, wie das Zwitschern der Vögel und der Geruch von Tannennadeln, stimulieren die Aktivität des Parasympathikus. Er ist ein wichtiger Teil des Nervensystems, der für Erholung und Regeneration auf Zellebene verantwortlich ist. Im hektischen Stadtleben ist der Gegenspieler, der Sympathikus, sehr aktiv. Deshalb brauchen gerade moderne Menschen den Ausgleich im Wald. Stress aktiviert den Sympathikus und setzt ihn in Dauerbereitschaft. Die Pulsfrequenz erhöht sich, Stoffwechsel und Verdauung werden zurückgefahren. Entspannung wiederum erhöht die Aktivität des Parasympathikus, die Pulsfrequenz wird niedriger und der Blutdruck sinkt. Beim Waldbaden wird auch die Produktion des DHEA gesteigert, der Cortisol-Adrenalin- und Noradrenalinspiegel sinkt.

 

 

In einem Experiment fanden die Wissenschaftler_innen heraus, dass schon eine Zimmerpflanze einen Unterschied macht. Dazu ließen sie eine Gruppe von Versuchsteilnehmer_innen 60 Sekunden lang auf eine Zimmerpflanze blicken, die andere auf eine weiße Wand. Das Ergebnis: Die Teilnehmer_innen, welche auf die Pflanze schauten, waren deutlich entspannter. Das wurde anhand von der Aktivität des Parasympathikus und Sympathikus festgestellt.

 

 

Bum-Yin Park fand in einem Test heraus, dass sich der Blutstrom im präfrontalen Cortex, einem Teil des Gehirns, der Proband_innen im Wald senkte. In der modernen Industriegesellschaft nutz der Mensch vorwiegend die Fähigkeiten des präfrontalen Cortex, um zum Beispiel hochkonzentriert zu arbeiten oder einem Sachverhalt zu folgen. Entscheidend für die menschliche Gesundheit ist, dass der Denkapparat entspannen kann und sich die Gehirnaktivität in andere Areale verlagert, die der Mensch als ruhig empfindet. Die Studien von Park zeigen anhand der Blutströme im Gehirn, dass der präfrontale Cortex im Wald zur Ruhe kommt.

 

 

Das amerikanische Team um G. N. Bratman bestätigt die neurologischen Befunde derJapaner. Bratman und Kolleg_innen befragten ihre Teilneilnehmer_innen zudem, wie es ihnen im Wald ergangen ist. Alle Teilnehmer_innen gaben an, dass sie schon nach kurzer Zeit weniger gegrübelt hätten. Stattdessen haben sie sich mit ihrer Umgebung beschäftigt und ihre Stimmung hellte sich auf. Übereinstimmend geben die befragten Waldbesucher_innen in den zahlreichen Tests an, dass sie sich nach dem Aufenthalt im Wald stärker fühlten und weniger Ängste und Unruhe empfanden. Diese Studien legen nahe, dass erreichbare Naturregionen eine ernstzunehmende Ressource sind, um die psychische Gesundheit in unserer schnell verstädterten Welt zu verbessern" schreibt Hiroko Ochiai von der staatlichen Gesundheitsorganisation Japans.

 

 

Es ist bewiesen, dass beim Lernen in der Natur Konzentration, Selbstdisziplin, Wahrnehmungsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Gedächtnis besser sind. Neben all den Effekten auf Körper und Geist fördert das Waldbaden z. B. auch die Zusammenarbeit in Gruppen.

 

 

Die indirekte Aufmerksamkeit und sanfte Faszination wirkt erholend und fördert die Konzentration. Der Geist kann sich entspannen und zur Ruhe kommen. Neugier, Lebensfreude und Ehrfurcht vor der Natur können empfunden werden. Die Attention Restauration Theory (ART) von Rachel und Steven Kaplan zielt primär auf die Wiederherstellung der Aufmerksamkeitsfähigkeit ab und erklärt die Erholsamkeit von Natur mithilfe von vier Kriterien:

 

 

Faszination:   Die Natur provoziert Aufmerksamkeit, die nicht anstrengt, sondern regeneriert.

Weg sein:        Die Natur ermöglicht einen Abstand zum Alltag. Man kann ohne Erwartungen im Einklang mit der Natur sein.

                          Dies wirkt wie eine achtsamkeitsbasierte Meditation.

Ausdehnung:  Die Natur ermöglicht das Gefühl, sich mit dieser verbunden zu fühlen.

Kompatibilität: Die Natur bietet einer Person die Möglichkeit, zu tun, was ihren Bedürfnissen entspricht.

Ausgangspunkt der ART ist die Aufmerksamkeit. Kaplan & Kaplan unterscheiden zwischen gerichteter und umgerichteter, müheloser Aufmerksamkeit. Natur eignet sich besonders gut zum Regenerieren der Aufmerksamkeit, weil sie das Interesse des Menschen weckt, ohne gerichtete Aufmerksamkeit zu fordern.

 

 

Roger Ulrich entwickelte 1984 die psychoevolutionäre Theorie", welche besagt, dass natürliche Umgebungen und Symbole das autonome Nervensystem aktivieren und Gefahr oder Sicherheit signalisieren. Er verglich in seiner Studie 23 chirurgische Patient_innen, denen ein Zimmer mit Fenster auf eine natürliche Szenerie zugewiesen worden war, mit denen, die nur auf eine Backsteinmauer schauen konnten. Erstere hatten einen kürzeren postoperativen Krankenhausaufenthalt, weniger negativ bewertende Kommentare in den Notizen der Pflege und nahmen darüber hinaus weniger potente Schmerzmittel ein. In einer weiteren Studie bewiesen Ulrich et. al. 1991, dass Naturwelten am ehesten geeignet sind, um sich von Stress zu erholen und positive Gefühle zu erleben. Bereits Naturbilder lösen Entspannung, Behaglichkeit und Faszination aus.

 

 

Auch andere Studien (z. B. Hartwig et al 2003, van den Berg et. al. 2003, Cervinka et al. 2014, Arnberger et al. 2015) haben gezeigt, dass das Aufsuchen natürlicher Umwelten wie z. B. Waldlandschaften im Vergleich zu bebauten Umwelten Herzschlag, Pulsfrequenz und Stresshormone reduzieren sowie die Stimmung verbessern und die Aufmerksamkeitsfähigkeit wiederherstellen. Wells & Evans (2003) beobachteten einen solchen stressmindernden Effekt auch bei Kindern, die in ländlicher Umgebung leben. Die Auswirkungen stressreicher Lebensereignisse waren bei Kindern mit hohem Grad an nahegelengender Natur geringer als bei jenen mit wenig Nähe zur Natur.

 

 

Deutsche Wissenschaftler_innen stellten fest, dass eine Hirnregion physiologisch besonders gesund ist, die bei der Stressverarbeitung eine große Rolle spielt: der Mandelkern, auch Amygdala genannt. Dieses Phänomen bleibt bestehen, auch wenn man Bildung und Einkommen statistisch herausrechnet.